KNOETZL

KRONZEUGENREGELUNG AM PRÜFSTAND – Wie gut eine gesetzliche Regelung ist, zeigt sich erst in der Praxis.

Bettina Knötzl erklärte im Kurier wie sich die Kronzeugenregelung für den Kronzeugen auswirken kann. Dabei kommt es auch sehr darauf an, wie sich der Kronzeuge verhält. Mehr dazu unten.

Bild: KURIER, Ausgabe 20.10.2022

„[…] er riskiert seine Privilegien als Kronzeuge, wenn er lügt oder übertreibt.“

Bettina Knötzl

In der Ausgabe des KURIER vom 20.10.2022 wurde Bettina Knötzl, Partnerin bei KNOETZL und Präsidentin des Beirats von Transparency International Chapter Austria, von Raffaela Lindorfer interviewt, um die Funktionsweise der Kronzeugenregelung für die Leserschaft näher zu erklären.

Lesen Sie den gesamten Artikel hier.

Viele Vermögensdelikte, darunter auch Korruption, sind sogenannte Heimlichkeitsdelikte. Sie finden im Geheimen statt und sind daher ohne Mithilfe von Eingeweihten schwer aufzuklären. Die Ermittlungsbehörden stoßen bei der Aufklärung von Korruption oft an ihre Grenzen. Ziel der Kronzeugenregelung ist, Licht ins Dunkel zu bringen, die Aufklärungsarbeit massiv zu fördern und erhebliche Kosten und Zeit zu sparen. Damit sich ein Täter zu solch einem folgenschweren Schritt entscheidet, muss ihm eine Belohnung zu Teil werden. In den USA winken Tätern, die sich auf die Seiter der Aufklärer stellen, sogar bis zu 10% des Vermögensvorteils aus der Tat. So weit geht Österreich nicht: Der Anreiz liegt in der Straffreiheit für die Tat, die durch den Beitrag des Kronzeugen aufgeklärt werden kann.

Dass für den Kronzeugen damit das Problem nicht gelöst ist, liegt auf der Hand. Zum sicheren Ruin der Reputation, kommt der Vorwurf, Verräter zu sein und auch eine potentielle zivilrechtliche Haftung. Denn die Straffreiheit schützt nicht davor, dass sich Geschädigte weiterhin zivilrechtlich an den Täter wenden können.

In der Praxis zeigen sich spannende Rechtsfragen. Starten wir von vorne:

  1. Was sind die Voraussetzungen, damit der Kronzeugenstatus zuerkannt wird?

Das Gesetz spricht von „Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft“ (§ 209a StGB)

Der Rücktritt von der Verfolgung ist vorgesehen, wenn der Täter

  1. für bestimmte Taten (untechnisch gesprochen für etwas schwerere Straftaten)
  2. freiwillig und rechtzeitig an die Strafverfolgungsbehörden herantritt,
  3. ein reumütiges Geständnis über seinen eigenen Tatbeitrag ablegt und
  4. sein Wissen über neue Tatsachen oder Beweise offenbart,
  5. deren Kenntnis einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag leistet.  

Das Gesetz beschreibt den Aufklärungsbeitrag noch näher und hebt hervor, dass dieser über den eigenen Tatbeitrag hinausgehen muss.

So weit, so klar. Freiwilliges und rechtzeitiges Herantreten an Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei ist also ein tragendes Element des Kronzeugenstatus.

  1. Was gilt jedoch, wenn ein Täter, der unfreiwillig in die Fänge der Justiz geraten ist, plötzlich „auspacken“ will?  

Abs 2 des § 209a ist klar: Der Rücktritt von der Verfolgung kann nur erfolgen, „soweit“ der Täter wegen seiner Kenntnisse über die Tat

  1. noch nicht als Beschuldigter vernommen wurde und
  2. wegen dieser Tat kein Zwang gegen ihn ausgeübt wurde.

Die Lehre und der einschlägige Leitfaden des Justizministeriums unterscheiden daher zwischen Kronzeugentat und Aufklärungstat.

  • Die Kronzeugentat ist jene Tat, an der der Kronzeuge beteiligt war, wegen derer er auch bereits vernommen worden sein kann oder wo bereits Zwang gegen ihn ausgeübt worden sein kann. Unter Zwang ausüben versteht man zB Hausdurchsuchungen oder die Sicherstellung von Daten, zB von Chatverläufen vom Mobiltelefon.
  • Die Aufklärungstat ist jene Tat, die erst durch die Offenbarung des Wissens des Kronzeugen über neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt wird.

Der Kronzeuge muss nach der Lehre auch für die Kronzeugentat ein reumütiges Geständnis ablegen. Dieses kommt ihm dann strafmindernd zugute. Das reumütige Geständnis ist einer der wichtigsten Strafmilderungsgründe. Insbesondere ist anzunehmen, dass es der Spezialprävention bei einem reumütig geständigen Ersttäter nicht bedarf. Somit verbleiben vor allem generalpräventive Überlegungen, ob es einer Bestrafung überhaupt bedarf. Das Gericht könnte diesfalls etwa nur eine bedingte Strafe verhängen oder auch die Strafe ganz nachsehen. Auch eine Diversion steht zur Auswahl. Unter Umständen kommt es also nicht einmal zu einer Vorbestrafung (Eintrag im Strafregister). Eine Diversion kann übrigens auch schon von der Staatsanwaltschaft angeboten werden, was bei einem kooperativen Kronzeugen auch angezeigt ist. Inwieweit die Strafbefreiung als Kronzeuge auch für die Kronzeugentat möglich ist (der Leitfaden des Justizministeriums schließt diese Möglichkeit nicht aus) wird die Praxis der Strafbehörden und Gerichte der nächsten Jahre zeigen.

Für die Aufklärungstat kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung zurücktreten. Hier kommt es daher – solange der Kronzeuge seinen Status behält – nicht einmal zur Anklage.

  1. Kann der Kronzeuge seinen Kronzeugenstatus wieder verlieren?

Ja. Nach einer vorgeschalteten Prüfung der Staatsanwaltschaft, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Kronzeugenstatus überhaupt vorliegen, erfolgt zunächst ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung („Einstellung unter Vorbehalt späterer Verfolgung“). (i) Verletzt der Kronzeuge die aufgetragene Verpflichtung zur Zusammenarbeit bei der Aufklärung oder (ii) waren die Unterlagen und Informationen falsch oder (iii) konnten diese keinen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung liefern, kann die Staatsanwaltschaft die Verfolgung des Kronzeugen wieder aufnehmen.

In der Praxis bedeutet insb (iii) ein massives Risiko. Der Kronzeuge muss zuerst sein Wissen offenbaren und erfährt erst hinterher, ob die Staatsanwaltschaft dieses für ausreichend erachtet. Das ist eine erhebliche Schwäche der gegenwärtigen Regelung. Viele Strafverteider:innen raten ihrer Mandantschaft daher, vom Recht, sich nicht belasten zu müssen, Gebrauch zu machen. Die Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung ist noch einigermaßen „unpopulär“. Dazu kommen die eingangs erwähnten zivilrechtlichen und sozialen Nachteile.

Soweit der Kronzeuge alle Voraussetzungen erfüllt, kommt ihm eine Rechtsanspruch auf die Kronzeugenstellung zu; er kann eine ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft daher auch vor Gericht bekämpfen. Aufgrund der genannten Praxisprobleme ist die Kronzeugenregelung aber dennoch noch nicht besonders erfolgreich.

  1. Ausblick – Drei zentrale Anmerkungen

Erstens: Der Erfolg der – immer wieder im Blickpunkt gesellschaftskritischer Diskussion – stehenden Kronzeugenregelung wird wesentlich auch davon abhängen, wie viel Rechtssicherheit die Ermittlungsbehörden Kronzeugen in der Praxis tatsächlich geben. Wenn im Laufe des Verfahrens „ein Rückzieher“ wegen nicht ausreichender Aufklärungsbeiträge erfolgt, werden sich künftig potentielle Kronzeugen noch seltener für diesen steinigen Weg entschließen.

Umgekehrt, wird die Kronzeugenregelung in der Gesellschaft nur dann als wertvolles Werkzeug zu einer effizienteren Aufklärung wahrgenommen werden, wenn die potentiellen Kronzeugen bei der Wahrheit bleiben und es nicht zum Anschwärzen Dritter missbrauchen.

Besonders Augenmerk wird auf den maßvollen Einsatz dieses Werkzeugs seitens der Behörde zu legen sein. Die Freiwilligkeit und Rechtzeitigkeit soll nicht nur als verschlossene Türe („leider zu spät“, „leider falscher Adressat“) wahrgenommen werden, sondern als echte Wahl für den Täter: Auch wer bereits mit dem Rücken zur Wand steht, soll sich freiwillig zwischen Kooperation oder Wahrnehmung des fundamentalen Beschuldigtenrechts, sich nicht belasten zu müssen, entscheiden können.

Weiterführende Informationen:

Für mehr Informationen kontaktieren Sie bitte Bettina Knötzl, Thomas Voppichler oder Ihren professionellen Ansprechpartner bei KNOETZL.